Geschichten

Der einfachere Weg

Ein Schüler kam zu seinem Guru. "Ach Guruji," stöhnte er, "um Euren Lehren zu folgen, ist so viel Veränderung nötig. Das ist mir eigentlich alles viel zu anstrengend. Ich glaube, ich werde das Studium hier beenden." Da schaute der Guru mit einem traurigen Blick auf seinen Schüler. "Kennst du die Geschichte von der Raupe?" fragte er. Der Schüler verneinte.

"Es war einmal eine Raupe, die das Gefühl hatte, dass die Metamorphose zum Schmetterling zu anstrengend sei. Also beschloss sie, Raupe zu bleiben. Und während sie mühsam und langsam durchs Leben kroch, schaute sie immer mal wieder hinauf zu all den Schmetterlingen, die im Sommerwind von Blume zu Blume tanzten..." erzählte der Guru die Geschichte.

"Und nun überlege gut, ob der scheinbar einfachere Weg auch tatsächlich der einfachere ist."

Die Gelehrten und der Elefant

Es waren einmal fünf Gelehrte im Dienste eines Königs - sie alle waren blind. Diese Gelehrten wurden von ihrem König auf eine Reise geschickt um herausfinden, was ein Elefant ist. Und so machten sich die Blinden auf die Reise nach Indien. Dort wurden sie von Helfern zu einem Elefanten geführt. Die fünf Gelehrten standen um das Tier herum und versuchten, sich durch Ertasten ein Bild von dem Elefanten zu machen.

Als sie zurück zu ihrem König kamen, sollten sie ihm nun über den Elefanten berichten. Der erste Gelehrte hatte am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel des Elefanten betastet. Er sprach: "Ein Elefant ist wie ein langer Arm." Der zweite Gelehrte hatte das Ohr des Elefanten ertastet und sprach: "Nein, ein Elefant ist wie ein großer Fächer." Der dritte Gelehrte sprach: "Aber nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule." Er hatte ein Bein des Elefanten berührt. Der vierte Gelehrte sagte: "Nein, ganz und gar nicht, ein Elefant ist wie ein kleines Seil mit ein paar Haaren am Ende", denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet. Und der fünfte Gelehrte berichtete seinem König: " Also ich sage, ein Elefant ist wie ein riesige Masse, mit Rundungen und ein paar Borsten darauf." Dieser Gelehrte hatte den Rumpf des Tieres berührt.

Nach diesen widersprüchlichen Äußerungen fürchteten die Gelehrten den Zorn des Königs, da sie sich nicht darauf einigen konnten, was ein Elefant wirklich ist. Doch der König lächelte weise: "Ich danke Euch, denn nun weiss ich, was ein Elefant ist: ein Elefant ist ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein langer Arm ist; mit Ohren, die wie Fächer sind, mit Beinen, die wie starke Säulen sind; mit einem Schwanz, der einem kleinen Seil mit ein paar Haaren daran gleicht und mit einem Rumpf, der wie eine große Masse ist mit Rundungen und ein paar Borsten darauf." Die Gelehrten senkten beschämt ihren Kopf; sie erkannten, dass jeder von ihnen nur einen Teil des Elefanten ertastet hatte.

Auf der Durchreise

Ein junger Mann reiste durch Indien und besuchte einen Heiligen, der für seine grosse Weisheit berühmt war. Dieser Heilige lebte in einer bescheidenen Hütte, die nur aus einem einzigen Raum bestand. Ausser ein paar Büchern und einer bescheidenen Schlafstelle besass er keine weiteren Dinge.

Der junge Mann fragte: "Swamiji, wo sind deine Möbel?"

"Wo sind denn deine?" fragte der Swami zurück.

"Meine?" fragte der junge Mann überrascht. "Aber ich bin doch nur auf der Durchreise!"

"Ich auch," antwortete der Swami, "ich auch."  

 


Das Verbreiten von Gerüchten

Aus Unzufriedenheit mit sich und seinen spirituellen Fortschritten hatte ein Schüler schlecht über seinen Guru geredet und ihm die Schuld für sein Versagen gegeben. Der Guru vernahm diese Gerüchte und als der Schüler das nächste Mal bei ihm erschien, fragte er den Schüler, ob er diese Gerüchte verbreitet hatte.

"Bitte entschuldigt, Guruji; ich war unzufrieden mit mir und habe Euch die Schuld dafür gegeben.  Ich werde es bestimmt nicht wieder tun", versprach der Schüler. "Ich nehme alles zurück, was ich über Euch erzählt habe, Guruji."

Der Guru sah den Schüler liebevoll an und sagte: "Dann ist gut, ich habe also keinen Grund mit dir böse zu sein. Allerdings verlangt das Gesetz des Karma eine entsprechende Gegenleistung, damit dein Fehlverhalten wieder aufgehoben ist."

"Ich bin gerne zu allem bereit." sagte der Schüler demutsvoll.

Der Guru erhob sich, holte ein Blatt Papier und gab es dem Schüler. "Nimm dieses Blatt Papier, gehe hundert Schritte und dann zerreisse das Papier in 100 kleine Teile. Dann kommst du wieder zurück, indem du bei jedem Schritt einen kleinen Papierschnipsel nach rechts und dann nach links wirfst."

Der Schüler war etwas verwundert, machte aber genau das was der Guru von ihm verlangt hatte. Als er wieder vor dem Guru stand, sagte der Guru: "Gut gemacht." Dann bot der Guru dem Schüler einen Tee an und sie plauderten über ein paar belanglose Dinge. Als der Schüler schon hoffte, die Sache sei damit ausgestanden, sagte der Guru zu ihm: "So, und nun gehe nochmals den gleichen Weg zurück und sammle alle Papierschnipsel wieder ein."

Der Schüler war verwirrt und erwiderte: "Aber Guruji, ich kann doch unmöglich alle Papierschnipsel wieder einsammeln! Ich habe sie wahllos ausgestreut ohne darauf zu achten wohin; inzwischen hat der Wind sie sicherlich in alle Himmelsrichtungen davon getragen - wie könnte ich sie also alle wieder einsammeln?"

Der Guru nickte ernst: "Genau so ist es mit Gerüchten: einmal ausgestreut werden sie in alle Himmelsrichtungen getragen und niemand weiss genau wohin. Wie kann man sie also einfach wieder zurücknehmen?"  

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